Sie machen weniger als 1%(!) der ätherischen Öle in einer Hopfendolde aus, sind aber aktuell in aller Munde. Spezielle Hefen und Pulver sollen mehr Thiole freisetzen. Dies könnte der Schlüssel zu noch mehr tropischen Aromen sein.

Thiole
Seit ca. 10 Jahren beschäftigt sich die Braugemeinschaft mit dem Thema der Biotransformation. Wer sich mit diesem heiligen Gral nähern möchte, kommt aktuell um Thiole nicht herum. Aber was sind Thiole und warum sind sie so gefragt und vor allem, wie kriege ich sie ins Bier? Diese Fragen versuche ich in diesem Blogpost zu klären. Wem die Theorie dahinter zu trocken ist, der kann auch direkt zur Zusammenfassung springen.
Noch kurz vorab: Das Thema ist super umfangreich und kann in einem Blogpost nicht mal annähernd abschließend behandelt werden. Dieser Post soll lediglich ein Überblick sein.
Was sind Thiole?
Thiole sind auch bekannt als Mercaptene. Sie sind schwefelhaltige, organische Verbindungen, bei denen ein Schwefelatom an ein Wasserstoffatom gebunden ist. Sie kommen natürlicherweise im Hopfen vor, entweder als freie, aromaaktive, flüchtige Stoffe oder als nicht aromaaktive (d.h. nicht flüchtige) Vorstufen.

Das spannende an Thiolen ist, trotz ihres geringen Anteils haben sie eine sehr niedrige sensorische Wahrnehmungsschwelle, d.h. sie werden schon bei außergewöhnlich niedrigen Konzentrationen wahrgenommen.
Erstmals im Hopfen entdeckt wurden sie Anfang der 2000er Jahre. Seit dem konzentrierte man sich auf drei dieser Verbindungen:
- 4-Mercapto-4-methylpentant-2-on (4MMP)
Aroma: schwarzer Johannisbeere - 3-Mercaptohexan-1-ol (3MH)
Aroma: Zitrusfrüchte - 3-Mercaptohexylacetat (3MHA)*
Aroma: Passionsfrucht und Guave
*Acetat-Ester von 3MH und ein wichtiger Bestandteil tropischer Aromen
Interessant ist also vor allem das Thiol 3MH. Um 3MH-Moleküle (und die damit verbundenen tropischen Aromen) im Bier zu erhalten, stopfen Brauer ihre Biere mit bestimmten Hopfensorten, die diese freien Thiole verstärken können, wie Galaxy oder Citra. Aber selbst die Hopfensorten mit den meisten 3MH, liefern zu geringe Mengen dieser freien Thiole, was die Herstellung von Bier mit starken tropischen Noten erschwert. Glücklicherweise gibt es eine andere Möglichkeit, 3MH und tropische Aromen ins Bier zu bekommen:
Die Biotransformation von Thiol-Vorstufen.
Thiol Vorstufen
Thiolvorstufen kommen in Hopfen und Gerste vor. Sie sind auch Bestandteil von Traubenschalen (und anderen Früchten), weshalb Thiole bei Winzern schon länger bekannt sind.
Die bekanntesten 3MH-Vorstufen sind: Cysteinylierte und glutathionylierte Thiol-Vorstufen. Geschrieben sieht das dann meisten so aus: Cys-3MH und Glut-3MH.
Einfach ausgedrückt handelt es sich dabei um Aminosäuren, an die Thiole gebunden sind. Und jetzt kommt das Problem: Diese Vorstufen sind geschmacklos und nicht aromatisch. Ein gebundenes Thiol riecht überhaupt nicht nach tropischen Aromen. Es ist ein Enzym erforderlich, um Thiole aus der gebundenen, nicht aromatischen Form in eine “freie”, aromaaktive Form umzuwandeln.

Sobald die Thiole in ihrer freien Form vorliegen, riechen sie nach köstlichen tropischen Früchten. Wobei natürlich wichtig ist, um welche spezifische Thiolverbindung es sich handelt.
Die hier stattfindende Biotransformation ist unglaublich wichtig, da Gerstenmalz und Hopfen viel mehr 3MH-Vorstufen als freies 3MH enthalten.
Beispiel Cascade Hopfen:
Auf jedes Mikrogramm (µg) freies 3MH kommen
- 35 µg der Cyst-3MH-Vorstufen und
- 1,574 µg der Glut-3MH-Vorstufen.
🤯 Eine Menge gebundenes Aroma!

Lasst die gebundenen Thiole frei!
Wie knackt man diese Verbindung und bringt die Aromen ins Bier? Über die Hefe!
Hefen produzieren und setzen während der Gärung viele Enzyme frei. Was aber ganz speziell benötigt wird, ist eine Beta-Lyase (β-Lyase) die durch das Gen IRC7 kodiert wird. Auch bekannt unter dem Namen Kohlenstoff-Schwefel-Lyase (C-S-Lyase), beschreibt dieses Synonym sehr anschaulich, was das Enzym tut – es bricht die Kohlenstoff-Schwefel-Bindung auf, um das Thiol freizusetzen.
Die besten Hefestämme für die Biotransformation von Thiolen sind Stämme, die sowohl zur Biergärung fähig sind als auch eine hohe IRC7-Enzymaktivität aufweisen. Leider ist diese Kombination in der Hefewelt recht selten. Die meisten herkömmlichen Bierhefen verfügen nicht über eine aktive Form des IRC7-Gens und sind daher eher schlechte Thiol-Biotransformer. Sie wandeln nur einen winzigen Teil der nicht-aromatischen 3MH-Vorstufen in das geschmacksaktive 3MH um.
Aus diesem Grund wurden neue Hefehybride und sogar gentechnisch veränderte Hefestämme entwickelt, die die Menge des produzierten Enzyms und/oder die Aktivität des Enzyms insgesamt erhöhen.
Der bekannte Hefehersteller Omega Yeast hat bereits vier genveränderte sogenannte “thiolized” Hefestämme herausgebracht. Diese GMO (Gentechnisch veränderter Organismus) Hefen sind in Deutschland (noch nicht) zugelassen und deshalb schwer zu bekommen. Bei der Cosmic Punch Hefe hat man eine aktive IRC7-Variante hinzugefügt.
Dies kann man aber noch toppen: patB hat eine ähnliche Funktion wie IRC7, stammt aber von S. hominis, das häufig auf der menschlichen Haut vorkommt. patB ist noch aktiver und spezifischer als IRC7, so dass die Thiolproduktion intensiver ist. Omega Yeast hat patB zu den Stämmen British V, Chico und Mexican Lager hinzugefügt und damit Helio Gazer, Star Party und Lunar Crush geschaffen.
Ein weiteres Hefelabor namens Escarpment Labs hat den Weg der Züchtung gewählt und die Hefe Thiol Libre entwickelt. Diese besitzt eine hybride Vitalität, für eine starke Thiol-Biotransformation und eine bessere Biergärungsleistung als deren Elternstämme.
Ich habe mir übrigens die Cosmic Punch Hefe von Omega Yeast besorgt und werde als nächstes ein Splitbatch brauen. Dabei möchte ich die Gen-modifizierte Cosmic Punch gegen den Elternstamm British V in einem Pale Ale antreten lassen.
Aber zurück zu den gebundenen Thiolen: Eine weitere Möglichkeit ist, bereits während des Maischens, Hopfen hinzuzugeben. Diese Praktik wird wieder beliebter und lässt sich auch einfach begründen: In der Maische können Gerstenenzyme die Umwandlung der im Hopfen vorhandenen glutathiongebundenen Thiole (Glut-3MH) in cysteingebundene Thiole erleichtern. Da Hefe in der Lage ist cysteingebundene Thiole (Cyst-3MH) zu knacken, kann dies zu einer stärkeren Thiol-Freisetzung führen.
Wie kann man freie Thiole im Bier erhöhen?
Es gibt drei Stellschrauben an den gedreht werden kann, um die Biotransformation zu verstärken.
- Verwendung von Hopfen mit verfügbaren freien Thiolen wie Mosaic und Galaxy
- Erhöhung der Menge des β-Lyase-Enzyms durch geeignete Hefen
- Erhöhung der Menge an Thiol-Vorstufen durch bestimmte Gersten- und Hopfensorten
Die Erhöhung an Thiol Vorstufen erhöht aber nicht automatisch den Anteil an freien Thiolen im Bier. Man muss hier auch gleichzeitig die Menge des β-Lyase-Enzyms erhöhen, um einen signifikanten Unterschied im Geschmack und im Aroma des Bieres zu erhalten.
Man kann tonnenweise Citra in seinem Sud versenken und das Aroma wird sicherlich sehr gut sein, aber es gibt eben auch die Chance gebundene Thiole aus preiswerteren Hopfen und Malzen freizusetzen. So enthält z.B. Saaz einen hohen Anteil gebundener Thiole.
An dieser Stelle sollte man auch noch mal erwähnen, dass Malz ebenfalls Thiolvorstufen enthält, so dass man mit der richtigen Hefe allein mit Malz tropische Aromen erhalten kann. Vor allem helle Gerstenmalze und gering modifizierte Sorten, wie Spitzmalz bieten viele Thiolvorstufen.
Übrigens: Für meine Patrons habe ich eine detaillierte Zusammenfassung geschrieben, welche Maßnahmen und Produkte helfen, um Thiol Vorstufen zu erhöhen und diese auch umzuwandeln, um wunderbar tropisch-fruchtige Biere zu erhalten.
👉 Friedies Brauhaus – Patreon Seite
Limitierende Faktoren
Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Hopfen und Gerste je nach Anbaugebiet, Erntezeitpunkt, Klima, Nährstoffzusammensetzung des Bodens usw. auch die Konzentration an Thiol-Vorstufen variiert. Es lohnt sich also verschiedene Hersteller auszuprobieren und auch mal die lokal verfügbaren Malze einzusetzen.
Weiterhin können Schwermetalle im Hopfen die empfindlichen Thiole absorbieren. Kupfersulfat beispielsweise, das in Europa manchmal als Fungizid eingesetzt wird, kann dazu führen, dass der Hopfen wenig bis gar keine Thiole enthält. Verfolgt man dieses Tests weiter wird klar, dass gestopfte Biere mehr Metalle enthalten, als “einfache” Lagerbiere. Je länger der Stopfhopfen mit dem Bier in Kontakt war und je wärmer die Temperatur beim Dry-Hopping war, desto mehr Metall wurde aufgenommen. Vor allem der Mangangehalt stieg dabei an, aber auch der Eisen- und Kupfergehalt erhöhte sich, was zu Problemen mit Oxidation führen kann. Deshalb und um die Thiolabsorbtion zu begrenzen, sollte man bei kühlen Temperaturen stopfen und die Kontaktzeit in diesem Zusammenhang gering halten.
Zudem sind Thiole sehr anfällig bei kleinsten Mengen an Sauerstoff und werden sehr zügig absorbiert. Daraus ergibt sich aber auch die Theorie, dass Thiole als eine Art Abwehrwelle gegen Sauerstoff fungieren können (ähnlich wie Sulfite).
Stickstoff! Ja, auch der Stickstoffgehalt der Würze limitiert die Freisetzung von Thiolen. Normalerweise will man ausreichend FAN (Freie Amino-Stickstoff) in der Würze haben, um der Hefe genug Nährstoffe anbieten zu können. Aber Stickstoff deaktiviert auch die ß-Lyase. Weshalb einige Brauer versuchen mit gering modifizierten Malzen und hohem Einmaischen den Stickstoffgehalt zu verringern.
Wie geht’s weiter mit den Thiolen?
Die Biotransformation von Thiolen ist noch ein relativ neues Forschungsgebiet in der Brauindustrie. Es arbeiten viele Brauer und Wissenschaftler gleichermaßen daran, mehr Licht in diese Blackbox zu bringen.
Bis jetzt ist klar, dass Thiole einen großen Einfluss auf den endgültigen Biergeschmack haben. In Zukunft ist damit zu rechnen, dass man mehr über Thiole und ihre Vorstufen erfahren wird. Mit diesen Informationen wird man in der Lage sein, Biere herzustellen, die vor Passionsfrucht- und Guaven-Noten nur so strotzen.
Zusammenfassung
Thiole sind Schwefelverbindungen, die in Hopfen und Gerstenmalz vorkommen. Man unterscheidet zwischen freien und gebundenen Thiolen. Letztere sorgen im Bier für z.B. tropische Aromen. Da sie eine geringe sensorische Wahrnehmungsschwelle haben, reichen schon kleine Konzentrationen aus. Leider sind im Hopfen (und Gerste) nur sehr wenige freie Thiole verfügbar. Weshalb man versucht gebundene Thiole aufzuspalten. Dafür ist das β-Lyase Enzym notwendig, welches die Hefe während des Gärprozesses produziert. Die meisten Bierhefen sind jedoch schlechte Thiol-Biotransformer und wandeln nur einen kleinen Teil der gebundenen Thiole in freie, aromaaktive Thiole um. Aus diesem Grund entwickeln Hefehersteller aktuell (genveränderte) Hefe, welche mehr β-Lyase produzieren.
Habt Ihr Lust noch mehr über Thiole zu lesen? – Meine Quellen:
– https://berkeleyyeast.com/science-lesson/enhance-thiol-biotransformation-with-tropics/
– https://byo.com/article/intro-to-thiols-tropical-flavors-in-beer/
– https://beerandbrewing.com/the-complex-case-of-thiols/
– https://www.brewersassociation.org/seminars/researcher-presentation-development-of-thiols-and-thiol-precursors-in-different-hop-varieties-during-hop-harvest-and-their-impact-on-beer-flavor/
– https://www.hopculture.com/top-hops-for-thiols/
– https://topcrop.co/collections/thiols
– More On Thiology – A Modern Brewing Technique (wildbeerco.com)